Spanien: der erste gerichtliche Schlag gegen die öffentliche Verwaltung aufgrund der Coronakrise

11.06.2020 - Monika Bertram

Der 4. Juni 2020 ist in vielerlei Hinsicht ein markantes Datum: Zum einen begannen an diesem Datum, Verfahrensfristen wieder zu laufen. Zum anderen wurde das Urteil 60/2020 vom 3. Juni der Einzelrichterin des Arbeitsgerichts Nr. 1 von Teruel im Verfahren 114/2020 veröffentlicht.

Monika Bertram Abogada +34 91 319 96 86

Die Richterin gab der von der spanischen Ärztegewerkschaft FASAMET gegen die Gesundheitsbehörde (Servicio Aragonés de Salud), die Sozialbehörde (Instituto Aragonés de Servicios Sociales) und die Regionalregierung (Diputación General de Aragón) der Autonomen Region Aragon eingereichte Klage statt. Die Grundrechte der öffentlichen Arbeitnehmer/Angestellten hinsichtlich der Prävention von Arbeitsrisiken seien verletzt worden, da ihre Leben, ihre körperliche Unversehrtheit, und ihre Gesundheit in Gefahr gebracht worden seien. Die Richterin verurteilte die Beklagten somit zur Wiederherstellung dieser Rechte und zur Zurverfügungstellung der entsprechenden persönlichen Schutzausrüstung (PSA).

Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob die Handlungen der Beklagten hinsichtlich der Zurverfügungstellung von angemessener und einheitlicher PSA im Umgang mit der COVID-19-Erkrankung eine Verletzung ihrer Pflicht zur Prävention von Arbeitsrisiken und somit eine Verletzung der Grundrechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit der Artikel 15 und 43 der spanischen Verfassung darstellt.

Die Beklagten brachten neben drei Prozesseinreden gegen die Klage die folgenden vier Hauptargumente vor: Gesundheit stelle kein Grundrecht dar. Die Anwendung der Arbeitsschutzvorschriften sei fraglich und diese seien jedenfalls nicht verletzt worden. Hier läge höhere Gewalt oder Katastrophenrisiko nach Art. 1105 des spanischen Zivilgesetzbuches vor. Das Ansteckungsniveau der Mitarbeiter im Gesundheitssystem von Teruel sei niedriger als in anderen Ländern.

Auf diese vier Aspekte und die jeweiligen Schlussfolgerungen der Einzelrichterin werden wir bei dieser Analyse einzeln eingehen.

Gesundheit als Grundrecht

In der Klage wird nicht nur die Verletzung des Rechts auf Gesundheit (Art. 43 der spanischen Verfassung), sondern auch des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit abgestellt, die Art. 15 der spanischen Verfassung garantiert. Ferner wird die Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts herangezogen, nach der das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit als verletzt angesehen werden könnte, wenn eine sichere, ernste Gefahr oder ein tatsächlicher Schaden für die Gesundheit besteht.

Mit Verweis auf umfangreiche einschlägige Rechtsprechung kommt die Richterin zu dem Schluss, dass das Argument, Gesundheit sei kein Grundrecht und dieses Recht sei somit nicht verletzt worden, nicht angeführt werden könne.

Anwendung der Arbeitsschutzvorschriften

Unstreitig sei nach Auffassung der Einzelrichterin, dass zwischen dem Personal und der öffentlichen Verwaltung ein Arbeits-, Beamten- oder anderes öffentliches Dienstverhältnis bestehe und somit die einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften auf sie Anwendung fänden. Dies gelte umso mehr, wenn die Beklagten selbst vorbringen, zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit ihres Personals PSA zur Verfügung gestellt zu haben, das besagten Vorschriften entspricht, deren Nichtanwendbarkeit sie geltend machen.

Höhere Gewalt oder Katastrophenrisiko

Die Einzelrichterin analysiert, ob die COVID-19-Krise de facto ein unvermeidliches und unvorhersehbares Ereignis höherer Gewalt darstellt.

Zweifelsohne sei die von COVID-19 verursachte Situation eine außergewöhnliche, die viele Länder betroffen habe, so das Urteil. Allerdings bedeute die Ausrufung des Alarmzustandes in Spanien durch die Regierung nicht de facto das Vorliegen höherer Gewalt, die per se Grundrechte von Bürgern aufhebt oder Arbeitgeber von der Haftung freistellt, wenn diese die ihnen obliegenden Gesundheits- und Sicherheitspflichten verletzten. Ferner heiße es in der Gesetzesbegründung des königlichen Gesetzesdekretes 463/2020, kraft dessen der Alarmzustand ausgerufen wurde, ausdrücklich, dass diese Ausrufung nicht zur Aufhebung von Grundrechten führe. Die Arbeitsschutzvorschriften seien somit von Arbeitgebern in der Vergangenheit wie in der Gegenwart zwingend einzuhalten.

An dieser Stelle möchten wir einen Aspekt hervorheben: Sowohl in den Tatbeständen als auch in den Rechtsgründen legt das Urteil eine perfekte Chronologie der Informationen, Warnungen, Empfehlungen, Pandemieerklärungen, Verbreitungs- und Ansteckungswege und der zu ergreifenden Sicherheitsmaßnahmen, etc. dar. Es schließt damit, dass bereits vor Erklärung des Alarmzustandes durch die spanische Regierung ausreichend Berichte sowie Daten der WHO, der Europäischen Union sowie der Medien vorgelegen hätten, damit die öffentliche Verwaltung die notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung ausreichender PSA für die Wahrung der Sicherheit und Gesundheit ihrer Angestellten hätte ergreifen können.

Infektionsrate von Gesundheitspersonal: Arbeitsrisiko und Verletzung von Grundrechten

Die Richterin sieht es in dem Urteil als erwiesen an, dass ein stärkerer Kontakt mit COVID-19 auch ein höheres Ansteckungsrisiko bedeutete. Daher sei es das Gesundheitspersonal, das, in direkter Nähe zu infizierten Personen, einer höheren Viruslast ausgesetzt sei. Dieses weise somit eine höhere Empfänglichkeit für eine Infektion auf. Daher hätten bereits mehrere Berichte auf die Notwendigkeit der Ausstattung des Gesundheitspersonals mit ausreichender Schutzkleidung hingewiesen, um eben dieser Exposition mit einer höheren Viruslast zu begegnen und dadurch das Ansteckungsrisiko zu verringern.

Die fehlenden PSA führten zur Schutzlosigkeit des Gesundheitspersonals, wodurch seine Gesundheit und körperliche Unversehrtheit gefährdet und riskiert worden sei. Das Risiko sei vorhersehbar gewesen, was somit, so das Urteil, die mangelnde Sorgfalt der Beklagten zeige. Ferner belege die Arbeit unter solchen Bedingungen eine Verletzung der Grundrechte des Personals, da es aufgrund des fehlenden Vorrats und der Nichtzurverfügungstellung ausreichender PSAs der Virulenz von COVID-19 schutzlos ausgesetzt gewesen sei. Diese Verantwortung werde nicht dadurch gemindert, dass auf dem nationalen Markt nicht ausreichend PSAs zur Verfügung gestanden hätten oder der Einkauf von sanitärer Ausstattung in den Händen des Gesundheitsministeriums zentralisiert worden sei.

Fazit

Das Urteil des Arbeitsgerichtes ist nicht endgültig und es ist wahrscheinlich, dass bei dem obersten Gerichtshof der Autonomen Region Aragon (Tribunal Superior de Justicia de Aragón) Einspruch gegen das Urteil eingelegt wird. Nichtsdestotrotz zeigt es, dass hier der erste gerichtliche Schlag gegen das Management der Gesundheitskrise aus arbeits- und sozialgerichtlicher Sicht erfolgt. Die Begründung dieses Urteils wird wahrscheinlich nicht nur in anderen spanischen Gebieten, sondern auch in anderen Gerichtsbarkeiten berücksichtigt werden, in denen ein Interesse an der Klärung von Verantwortlichkeiten besteht.