Der Grund ist einfach: Im Wirbel um die Arbeitszeiterfassung kann schnell vergessen werden, dass im laufenden Jahr eine weitere Maßnahme beschlossen wurde, die ein ähnliches oder sogar höheres Konfliktpotential (im weitesten Sinne) birgt, als die Maßnahme zur Arbeitszeiterfassung nach Art. 34.9 des spanischen Arbeitnehmerstatutes (Estatuto de Trabajadores).
Es geht um die neue sogenannte „Arbeitszeitanpassung“ (adaptabilidad de la jornada) des Artikels 34.8. Wenngleich die Arbeitszeitanpassung bereits in der Fassung des Arbeitnehmerstatus vom 29. Dezember 2019 geregelt war, wurde sie im März dieses Jahres im Wege des Königlichen Gesetzesdekrets 6/2019 vom 1. März zu Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung der Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Männern und Frauen hinsichtlich Beschäftigung (Real Decreto-Ley 6/2019, de 1 de marzo, de medidas urgentes para la garantía de la igualdad de trato y de oportunidades entre mujeres y hombres en el empleo y la ocupación) weiterentwickelt.
Die Regierung begründete sie mit der „Ungleichheit, die sich im Lohngefälle widerspiegelt“, mit der Tatsache, dass sich diese Ungleichheit in den letzten Jahren nicht verringert habe und mit der absoluten, dringenden Notwendigkeit, diese in einem Zeitalter, in der „sich die Frau der Herausforderung der Industrie 4.0 stellt“, zu korrigieren.
So führte Artikel 34.8 des Arbeitnehmerstatuts dazu, dass aus der Möglichkeit der Arbeitszeitanpassung praktisch eine Verpflichtung für Unternehmen wurde. Das bedeutet, dass seit dem 8. März 2019 Arbeitnehmer über ein Anpassungsmittel verfügen, das die Unternehmen nur schwer ablehnen können. Nach Beantragung der Arbeitszeitanpassung seitens des Arbeitnehmers, haben die Unternehmen ausführlich ihre objektiven Gründe (wirtschaftlicher, technischer, organisatorischer oder betrieblicher Natur) für eine Ablehnung der Genehmigung darzulegen. Sofern nicht mindestens einer der vorgenannten objektiven Gründe vorliegt, können die Unternehmen die Genehmigung der beantragten Arbeitszeitanpassung praktisch nicht verweigern.
Des Weiteren können die Arbeitnehmer im Falle der Nichtgenehmigung der Arbeitszeitanpassung bis zum Ablauf des für diese Anpassung vorgesehenen Zeitraums zu jedem Zeitpunkt die Rückkehr zu ihrer vor der Anpassung geltenden vertraglich vereinbarten Arbeitszeit oder Arbeitsweise beantragen, sofern (i) der für die Anpassung vorgesehene Zeitraum abgelaufen ist oder (ii) sich die Umstände geändert haben und die Rückkehr daher begründet ist.
Und bei Meinungsverschiedenheiten? Die Neufassung des Artikel 34.8 des Arbeitnehmerstatus verweist auf das zu diesem Zweck in Artikel 139 des Regulierungsgesetzes der Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit (Ley Reguladora de la Jurisdicción Social) normierte Verfahren. Diese Bestimmung erlaubt Arbeitnehmern die Einreichung einer Klage vor den Arbeitsgerichten, die sich gegen die Unternehmensentscheidung richtet. Im Wege der Klagehäufung kann ggf. eine entsprechende Schadensersatzklage hinzukommen. Das entsprechende Verfahren wäre eilig und bevorzugt zu verhandeln, wobei die Parteien innerhalb von fünf Tagen ab Zulassung der entsprechenden Klage zu einer mündlichen Verhandlung geladen werden würden. Innerhalb einer Frist von drei Tagen hätte das Gericht ein Urteil zu verkünden. Gegen dieses Urteil wären grundsätzlich keine Rechtsmittel statthaft, mit Ausnahme für den Fall, dass aufgrund des Streitwertes der Schadenersatzklage eine Rechtsbeschwerde beim obersten Gericht in Arbeitssachen (sog. recurso de suplicación) eingelegt werden kann.
Fazit: Die Neufassung des Artikel 34.8 des Arbeitnehmerstatuts verpflichtet die Unternehmen dazu, sich umgehend und schnell an die „Forderungen“ ihrer Arbeitnehmer anzupassen. Dadurch werden sie zu maximaler struktureller Flexibilität gezwungen, die jedoch in vielen Fällen nur schwer und in einigen Fällen unmöglich umsetzbar ist, wie z.B. im Falle eines kleinen Unternehmens. Die gilt insbesondere, wenn diese Flexibilität (je nach Lage des Falls) innerhalb der knappen Frist von 30 Tagen ab Antragstellung umgesetzt werden muss.
Es handelt sich um eine Maßnahme zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Obgleich es sich um eine begrüßenswerte Initiative handelt, dürfte es als gesichert anzusehen sein, dass sie ebenso wie die Maßnahme aus Art. 34.9 des Arbeitnehmerstatus nur kurze und knappe Fristen zur Anpassung und Umstrukturierung einräumt, während sie auf der anderen Seite eine im Rahmen der Unternehmensfortführung nur schwer umsetzbare Allgemeingültigkeit umfasst, die das Konfliktpotential zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern befeuert.
Mehr Information: Patricia Rivera